Wenn der Wind sät
Zwischen akkurat geschnittenen Hecken und geometrisch gepflasterten Wegen wächst heute etwas Wertvolles: das Ungeplante. Wildkräuter, die sich durch Ritzen schieben, Pionierpflanzen, die Brachflächen besiedeln, und Wiesen, die sich weigern, einem Mähplan zu folgen. Was einst als Nachlässigkeit galt, ist heute gestalterisches Prinzip: die kontrollierte Unordnung. Immer mehr Landschaftsplaner entdecken das kreative Potenzial des Zufalls – auch mitten in der Stadt – und lassen Natur geschehen. Wohlüberlegt, aber nicht vorhersehbar.
Gestalten durch Zulassen
„Nicht alles muss gemacht aussehen“, sagt mancher Planer inzwischen mit einem Lächeln. Was nach Nachsicht klingt, ist in Wahrheit ein Kunstgriff. Statt alles zu kontrollieren, schaffen Planer heute Rahmenbedingungen, in denen sich Natur selbst entfalten kann. Der Entwurf wird zur Einladung: an Wind und Vögel, Samen und Pilzsporen, Insekten und Moose. Die Grenzen zwischen Gestaltung und natürlicher Dynamik verschwimmen – zugunsten eines neuen ästhetischen Verständnisses.
Schönheit jenseits des Rasenkantenschnitts
Die klassische Garten- und Landschaftsästhetik ist geprägt von Ordnung. Doch mit dem wachsenden Bewusstsein für Biodiversität und Klimaanpassung gewinnt ein anderer Blick an Kraft: Wildwuchs wird schön. Eine ungeplante Blumenwiese kann nicht nur mehr Artenvielfalt beherbergen als ein Zierrasen, sondern auch emotionale Tiefe schaffen. Menschen bleiben stehen, wenn sie eine Eidechse zwischen Steinen huschen sehen oder ein Distelfink auf einer verblühten Karde balanciert. Es sind diese Momente der Überraschung, die Orte lebendig machen.
Chaos mit Konzept
„Kontrolliertes Chaos“ klingt wie ein Widerspruch – ist aber ein wachsendes Gestaltungsprinzip. Durchlässige Böden, offene Wasserläufe, Rückzugsräume für Tiere und minimale Pflege statt radikaler Eingriffe: So entsteht Raum für spontane Vegetation. Auch das Nichtstun will gelernt sein. Denn nicht jeder wilde Prozess führt automatisch zu Schönheit. Die Kunst liegt darin, einen Ort so zu gestalten, dass er Unordnung aushält – und dabei seine eigene Sprache spricht.
Räume, die atmen dürfen
Besonders in Städten wie Berlin wird die spontane Naturentwicklung zum Hoffnungsträger. Versiegelte Flächen, Hitzeinseln und Artenarmut verlangen nach anderen Antworten als Beton und Rollrasen. Wilde Ecken bieten hier mehr als Charme – sie sind ökologische Rettungsinseln. Wenn in Baulücken plötzlich Königskerzen wachsen oder eine vergessene Brache zur Oase für Schmetterlinge wird, dann zeigt sich das Potenzial des Zufalls. Es sind kleine, stille Rebellionen gegen das Glatte, Perfekte.
Die neue Rolle des Planers
Wer heute Landschaft plant, entwirft keine endgültigen Bilder mehr, sondern Prozesse. Statt Masterplänen braucht es ein Denken in Entwicklungsschritten, in Varianten, in offenen Szenarien. Der Planer wird zum Choreografen des Möglichen, nicht des Festgelegten. In diesem Rollenwechsel steckt nicht nur Demut, sondern auch eine neue Freiheit – gestalterisch und ökologisch. Projekte wie die von Büro Wallmann zeigen, wie eine solche Haltung in der Praxis aussieht – Landschaftsplanung, die Prozesse denkt statt fertiger Bilder.
Ein anderes Morgen pflanzen
Vielleicht ist das Ungeplante unsere beste Zukunft. In einer Welt, die ständig in Bewegung ist, braucht auch die Planung Beweglichkeit. Wildnis zuzulassen heißt nicht, die Kontrolle aufzugeben – sondern Vertrauen zu fassen: in die Kraft natürlicher Prozesse, in das Unerwartete, das schön sein darf. Und vielleicht sogar heilsam. Denn wer Wildpflanzen Raum gibt, schafft nicht nur Lebensräume für Tiere – sondern auch für das Staunen.
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